angelhaken

Ein gutes Bild ist wie eine fette Bachforelle

1993 habe ich angefangen, mich mit dem Objekt Angelhaken zu beschäftigen. Seit Ende 1994 erscheint er regelmäßig in meinen Bildern und oft in Objekten und Installationen. Das Verhältnis zwischen dem Angelhaken und mir ist also noch sehr jung. Junge Verhältnisse sind launisch, empfindlich, leicht zu verletzen. Deshalb möchte ich im Folgenden nur andeuten, was mich am Angelhaken fasziniert und warum ich ihn in meinen Arbeiten verwende.

I.   Der Angelhaken ist ein klares Objekt: Ein einfacher, formschöner Bogen; eine prägnante, scharfe Spitze; ein ambivalenter Widerhaken. Diese Mischung von Klarheit, Eleganz, Schärfe und Funktion interessiert mich.

II.    Ich bin Fischer. Man wird als Fischer geboren – das hat wohl etwas mit Jagttrieb, Urinstinkt, Leidenschaft zu tun. Fragen nach dem Ursprung eines solchen Triebes deuten in existenziell-magische Zentren, die wir alle in uns tragen – wie eine Quelle oder einen Kern. Auch als Künstler stelle ich mir die Frage nach dem Ursprung, der Triebfeder der Kreativität. Ich erahne, dass diese Frage dieselbe Quelle, denselben Kern berührt.

Ich denke, dass auch zwischen den Verfahrensweisen, also dem Vorgang des Fischens und der künstlerischen Tätigkeit eine Parallelität besteht: Beide, der Fischer wie der Künstler sind darauf aus, etwas zu bergen, einem anderen Element etwas abzuringen. Zeit müssen beide investieren, Arbeit und Konzentration. Beide brauchen, um wirklich gute Beute zu machen, Kenntnis und Sensibilität, Aufmerksamkeit gegenüber der Umwelt, Gespür für den richtigen Köder, die richtige Methode; Engagement, Wissen und Glück. Beide werden von großen Teilen der Gesellschaft mit Kopfschütteln bedacht, belächelt, nicht verstanden, mißverstanden.

Das erfolgreiche Ergebnis aber wird bestaunt, gewürdigt, aufgenommen und verspeist: Ein gutes Bild, ein gutes Kunstwerk, ist wie eine große, fette Bachforelle. Der Angelhaken drückt diese Parallelität aus, erinnert daran, dass hier etwas geborgen wird und dass dieses Bergen aus den eigenen tiefen Quellen, also die Kreativität, eine ganz wichtige, ja existenzielle Bedeutung für den Menschen besitzt – genau wie der Fisch, der dem Menschen als Nahrung dient.

III.   Den Angelhaken dem Wasser zu entnehmen und ihn in Bilder und Objekte einzubauen oder ihn einfach auf einer Stange in die Luft zu tauchen – dieser Vorgang besitzt etwas Poetisches: Ein Angelhaken im Wasser, noch dazu mit Köder, hat einen festen Zweck: Einen Fisch zu fangen. Bei einem Angelhaken in der Luft, im Himmel oder in einem Bild ist es schon nicht mehr so klar. Fragen tauchen auf: Wer fischt? Was ist der Köder? Nach was wird gefischt? Diese Fragen gefallen mir.

IV.   Der Angelhaken im Bild: Der Angelhaken hat immer eine Richtung, eine imaginäre Schnur, eine Verbindung zum Fischer. Wenn ich den Angelhaken im Bild benutze, kann sich eine Spannung zwischen Bildebene – dort, wo der Angelhaken liegt – und dem Bildumfeld, dem Sitz des imaginären Fischers aufbauen. Die imaginäre Schnur bietet einen erweiterten Dialog zwischen Kunstwerk und Betrachter an. Diese Schnur, diese Leine, dieser Dialog ist wichtig.
Vorrangig aber sehe ich den Angelhaken als spirituelles Objekt, als eine Art Bewußtsein oder magischen Anker, der die Aufforderung mit sich trägt, etwas auszuloten. Der Angelhaken befindet sich zwar im Bild, sein Einfluß bildimmanent kann aber auch untergeordnet sein. Auch wenn der Angelhaken ganz verborgen unter Ölschichten liegt, oder nur teilweise freigegeben ist und gar nichts mit der Bilddynamik zu tun hat, möchte ich doch wissen: Er ist da!

Axel Wagner, März 2011/1995