Seit Anfang der 90er Jahre beschäftige ich mich künstlerisch mit medizinisch-technischen Abbildungen des menschlichen Körpers und dessen Funktionen. Hier benütze ich insbesondere Echokardiogramm (EKG), Elektroenzephalogramm (EEG), Röntgenbilder und Computertomographien als Grundmedien auf und mit denen ich arbeite. Sie dienen dabei nicht der Interpretation oder Diagnose einer menschlichen Funktion oder Fehlfunktion. Vielmehr interessieren mich zwei weiterreichende Aspekte:
- Formal betrachtet besitzen die jeweiligen Medien einen ganz besonderen Reiz: ob EKG und EEG mit der sensiblen, nervösen und dünnen Strichführung als Ableitung elektrischer Impuls von Herz und Hirn oder Röntgenbild und CT mit ihrer Darstellung verschieden dichter Strukturen des menschlichen Körpers – da werden auf Papier mit Tinte oder auf Folien mit silberhaltigen Lösungen konkrete Zustände zu einem konkreten Zeitpunkt von einer konkreten Person erfasst und sichtbar gemacht. Diese derart konkreten formal-ästhetischen Vorgaben beeinflussen die jeweilige Zeichnungs- bzw. Bildentwicklung. Des weiteren gibt das Medium mit seinen spezifische Eigenschaften (glatte Oberfläche des Röntgenbildes, Saugkraft des EKG-Papiers) Prozesse vor, welche die technische Bildentwicklung beeinflussen und begünstigen.
- Inhaltlich ist das fast noch spannender: Auf dem Medium wird ein lebender Mensch in einem konkreten Zustand dargestellt. Ein Individuum mit Teilaspekten seiner Körperfunktion bzw. Körpersituation. Doch was können wir auf diese Weise von einem Menschen erfassen? Seinen Herzschlag. Seine elektrischen Hirnströme. Die Morphologie seiner Eingeweide. Kontrastmittel tragende Blutgefäße. Die Dichte der Knochen und deren Beschaffenheit. Dies alles sagt nichts – oder nur sehr wenig – aus über das was einen Menschen im wesentlichen definiert: seinen geistigen Zustand, seine Gefühle, Sehnsüchte, Hoffnungen, Ansichten, Einstellungen, seine Kreativität, Freiheit…
Indem ich auf und mit diesen Medien arbeite, geschieht materiell und inhaltlich eine Symbiose beider Ebenen, welche den Menschen definieren: Körper und Geist. Ich zeichne auf – teilweise mein eigenes – EEG oder EKG, ich bemale und ritze in Röntgenaufnahmen und CT ́s. Dabei arbeite ich im Angesicht der offensichtlichen Vergänglichkeit kreativ und ästetisch im Bewußtsein des Augenblicks, nur der Kunst verpflichtet. Ich diagnostiziere nicht und heile nicht. Ich bilde Zustände ab, beziehe Position: Was ist der Mensch? Was macht ihn aus? Was ist wichtig?
Axel Wagner 2013